Wie sich die Bedeutung von Kollaboration in Zukunft entwickeln wird
Romald Heuvelmans und Holger Spehr: Wie sich die Bedeutung von Kollaboration in Zukunft entwickeln wird und beim Thema Nachhaltigkeit an Bedeutung gewinnt.
Romald Heuvelmans und Holger Spehr: Wie sich die Bedeutung von Kollaboration in Zukunft entwickeln wird und beim Thema Nachhaltigkeit an Bedeutung gewinnt.
AEB: Die Logistik-Kooperation mit Ihrem Wettbewerber Ferrero sorgte beim Start für Aufsehen. Sind Sie manchmal auf Unverständnis gestoßen, als Sie vorgeschlagen haben, mit einem Wettbewerber zu kooperieren? Was hat Ihr Chef dazu gesagt?
Heuvelmans: Natürlich hat es intern erst einmal für Aufsehen und Emotionen gesorgt, als wir angekündigt haben, mit Ferrero im Transport- und Lagermanagement zu kooperieren. Aber um wirklich effizient zu agieren, sind Kooperationen in der Lieferkette notwendig. Obwohl wir ein bedeutender Player am Markt sind, stoßen wir bei Optimierungen alleine schnell an Grenzen. Denn man muss immer die gesamte Kette im Blick haben. Was nützt es, wenn ich in meiner Abteilung einen Euro einspare, die Gesamtkosten in der Supply Chain aber um zwei Euro steigen? Dann haben wir Wert vernichtet und nicht geschaffen. Als wir die Zusammenarbeit mit Ferrero starteten, haben unsere damaligen Geschäftsführer das darin liegende Potenzial für Wertschöpfung und Wettbewerbsvorteile erkannt und diesen Schritt befürwortet.
AEB: Kollaboration in der Logistik steht bei Mars generell hoch im Kurs. Im Jahr 2007 haben Sie zu diese Thema die „Agenda 2017“ ins Leben gerufen. Was sind hier die Schwerpunkte?
Heuvelmans: Wir haben vor allem zwei Linien verfolgt. Ein großes Thema für uns ist, wirklich in die Operative einzugreifen. So arbeiten wir mit dem Handel intensiv am Thema Joint Forecasting und erstellen gemeinsame Absatzprognosen, beispielsweise mit Fressnapf. Hier bringt eine Kooperation direkte Vorteile. Die Vorhersagegenauigkeit steigt dramatisch, dadurch lassen sich Bestände senken, Out-of-Stock Situationen vermeiden und letztendlich auch Kosten minimieren.
Wichtig bei einer derartigen Zusammenarbeit ist: Welcher Partner führt zu welchem Zeitpunkt Regie? Beim Thema Joint Forecast wird sicherlich der Händler bei einem Planungshorizont von acht bis zwölf Wochen eine bessere Prognose liefern können, weil er näher am Kunden dran ist und beispielsweise aktuelle Planungen für Anzeigenschaltungen und Promotions kennt. Über den Zwölf-Wochen-Horizont hinaus hat die Industrie die bessere Vorhersagegenauigkeit. Wir wissen, welche Produktneueinführungen anstehen oder ob es beispielsweise Sonderaktionen gibt. Daher muss man immer genau analysieren: Wer ist in der Kette wann in der Lage, diese am besten zu steuern. Und dann muss natürlich auch das Vertrauen in den Partner da sein, dass er im gemeinsamen Sinne handelt.
AEB: Neben dem Fokus auf die Operative – was war der zweite Schwerpunkt?
Spehr: Im Jahr 2008/2009 war bei potenziellen Partnern durchaus eine gewisse Begeisterung für das Thema zu spüren, die sich auch in tatsächlichen Kollaborationsprojekten konkretisiert hat. Allerdings verpuff te dieses Interesse am Markt nach etwa zwei, drei Jahren. Wir haben uns dann schon die Frage gestellt: Machen wir hier überhaupt das Richtige? Daher haben wir in komplett neuen Forschungsfeldern konkrete Pilotprojekte gestartet, um basierend auf neuen Technologien wie RFID, intelligenten Ladungsträgern oder intelligenten Verpackungen neue Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln, etwa mit Partnern wie Chep, Mondi, Metro und REWE. Allerdings kamen viele Projekte nicht über die Pilotphase hinaus.
Wir haben dann gemeinsam mit Prof. Peter Kruse, dem mittlerweile leider verstorbenen Netzwerkforscher, Psychologen und Unternehmensberater, eine breit angelegte Studie durchgeführt und die Top-Entscheider- Ebene in über 100 Unternehmen befragt. Ist denn Kollaboration in der Supply-Chain überhaupt das Modell der Zukunft? Das Ergebnis war überzeugend: Unternehmenserfolg ist gleichbedeutend mit der Fähigkeit, unternehmensübergreifend zusammenzuarbeiten. Laut Prof. Kruse besteht selten eine so große Übereinstimmung bei den Antworten solcher Befragungen. Eine weitere Erkenntnis war: Das größte Potenzial liegt weniger in Hersteller-Hersteller-Kooperationen, sondern entlang der Supply Chain, also wenn Hersteller mit Logistikpartnern und dem Handel zusammenarbeiten. Unser Ziel war es daher, weniger bilaterale und stattdessen mehr multilaterale Kollaborationen auf den Weg zu bringen.
AEB: Eine multilaterale Zusammenarbeit hört sich aber sehr aufwendig an…
Heuvelmans: Es macht die Projekte natürlich komplexer. Man braucht Unterstützung, idealerweise von einem neutralen Koordinator. Beispielsweise kann man nicht einfach Tarife, Kosten und Strukturen miteinander teilen, ohne Probleme mit dem Kartellamt heraufzubeschwören. Da braucht man immer einen Drittpartner, der die Daten neutralisiert, sodass diese nicht eins zu eins aussagekräftig sind. Aber nur multilateral geht es. Bei einer bilateralen Zusammenarbeit fehlt die kritische Masse und man kommt nicht aus dem Pilotstadium raus.
AEB: Wie gehen Sie eine Zusammenarbeit mit Partnern an? Woher kommt die Idee, was sind die ersten Schritte?
Spehr: Ganz wichtig ist: vom Kunden aus zu denken. Was erwartet er von uns? Zum Start der Agenda 2017 hatten wir den Handelskunden im Fokus. Dieser erwartet beispielsweise, dass wir das, was er verkaufen will, auch liefern. Das hat uns zum Thema Joint Forecasting gebracht. Mittlerweile gehen wir einen Schritt weiter und richten unser Handeln am Konsumenten aus: Wir beobachten, was in der Konsumentenwelt passiert und daraus ergeben sich die Anregungen für das, was wir tun wollen. Erst der nächste Schritt ist es dann, geeignete Partner dafür zu finden – und der ist zugegebenermaßen oftmals schwieriger.
Heuvelmans: Wir sind immer auf der Suche nach guten Ideen und Ansätzen, und auch hierbei arbeiten wir mit unseren Partnern in der Lieferkette zusammen. Beispielsweise organisieren wir sogenannte Value-Chain-Days, auf denen wir gemeinsam mit Logistikdienstleistern, Industrie- und Handelsunternehmen die Themen der Zukunft diskutieren. Ein Ziel ist es, Projekte zu finden, wo wir als Mars glauben dass Zusammenarbeit notwendig ist, um wirklich auch erfolgreich zu sein. Durch diese gemeinsame Herangehensweise bekommen wir ein Gespür dafür, welche von den teilweise wirklich visionären Themen überhaupt mit anderen umsetzbar sind.
AEB: Beim Thema Joint Forecasting nannten Sie bereits das Stichwort Vertrauen. Inwieweit gilt bei Supply Chain Collaboration das Sprichwort „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“?
Heuvelmans: Wichtig ist, den Boden für eine Partnerschaft zu bereiten. Oftmals gibt es die Unsicherheit: Ist das nicht gefährlich und kann ich auch wieder aussteigen? Wenn man eine Kollaboration beginnt, dann muss man auch wieder aussteigen können. Das Ende einer Partnerschaft darf nicht dazu führen, dass die Kosten im Vergleich zur ursprünglichen Situation um 10 bis 20 % höher sind. Das ist eine mentale Sache. Bei Kollaborationsprojekten gilt daher prinzipiell: „Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser“. Man muss Vertrauen aufbauen. Wenn man kein Vertrauen aufbauen kann, dann steht so ein Projekt von vornherein unter keinem guten Stern.
AEB: Beim Thema Joint Forecasting nannten Sie bereits das Stichwort Vertrauen. Inwieweit gilt bei Supply Chain Collaboration das Sprichwort „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“?
Heuvelmans: Wichtig ist, den Boden für eine Partnerschaft zu bereiten. Oftmals gibt es die Unsicherheit: Ist das nicht gefährlich und kann ich auch wieder aussteigen? Wenn man eine Kollaboration beginnt, dann muss man auch wieder aussteigen können. Das Ende einer Partnerschaft darf nicht dazu führen, dass die Kosten im Vergleich zur ursprünglichen Situation um 10 bis 20 % höher sind. Das ist eine mentale Sache. Bei Kollaborationsprojekten gilt daher prinzipiell: „Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser“. Man muss Vertrauen aufbauen. Wenn man kein Vertrauen aufbauen kann, dann steht so ein Projekt von vornherein unter keinem guten Stern.
AEB: Neben gegenseitigem Vertrauen: Was sind weitere Erfolgsfaktoren für Kollaboration in der Lieferkette?
Spehr: Wenn eine Zusammenarbeit startet, sollten wir als Supply Chainer den Fokus darauf legen, gemeinsam Effizienzpotenziale zu finden und zu heben. Wie diese letztendlich verteilt werden, sollte erst der nächste Schritt sein. Wird beispielsweise von vornherein gesagt: Ich gehe eine Kollaboration ein und das muss unbedingt eine Einsparung von hundert Millionen ergeben, wird das nicht funktionieren. Denn dann geht man die Zusammenarbeit nicht offen an, sondern glaubt, jeder der anderen hätte eine Hidden Agenda. Dementsprechend gibt es auch bei der Vorgehensweise Erfolgsfaktoren: „Start small, start slow to progress fast“. Man muss kleine Projekte machen, um Erfolgserlebnisse zu schaffen und Vertrauen aufzubauen. Dann können hinterher die Benefits verteilt und auch größere Themen angegangen werden.
AEB: Ihre Agenda 2017 geht jetzt in das neunte Jahr. Wie fällt Ihr Fazit bisher aus?
Heuvelmans: Ich glaube, der Weg den wir gehen, benötigt viel Ausdauer. Es ist ein Mentalitätswechsel, den wir einfordern, bei dem Partner auch mal in Vorleistung gehen müssen. Und es gibt Unternehmen, die dafür offener sind als andere. Wichtig ist letztendlich, Kollaborationen zu institutionalisieren, damit diese in der Kultur des Unternehmens verankert und nicht mehr von einzelnen Personen abhängig sind. Momentan sind wir noch in einer Phase, in der persönliche Beziehungen und Netzwerke eine große Rolle spielen. Vielleicht sind wir in vier, fünf Jahren auch soweit, dass wir mit drei, vier, fünf Partnern sagen: In unseren Supply Chains gibt es eine enge Beziehung und es ist egal, ob beispielsweise ein Herr Spehr da ist, der das Thema treibt. Es ist ein natürlicher Prozess, wenn Unternehmen kollaborieren, den wir weiter vorantreiben müssen. Wenn wir das nicht tun, dann sind wir irgendwann nicht mehr am Markt – davon bin ich überzeugt.
AEB: Kollaboration ist also eine Investition in die Zukunft?
Heuvelmans: Wenn wir nicht kooperieren, werden wir letztendlich nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Um Agilität in der Supply Chain zu erreichen, müssen wir in unserem kompletten Netzwerk denken und Ressourcen gemeinsam optimieren. Wir werden kein Lager mehr eröffnen, ohne dass wir andere Industriepartner mit reinnehmen, ganz im Sinne eines Shared Distribution Centers. Und wenn es uns mal schlechter geht, dann wird sich das nicht so stark in unseren Kosten niederschlagen. Und Kollaboration wird auch beim Thema Nachhaltigkeit an Bedeutung gewinnen. Mit dem Weltklimavertrag von Paris haben wir einen Meilenstein erreicht.
Ich glaube, auch die Supply Chain muss hier eine Rolle spielen und das können wir nur durch Kooperationen lösen. Wenn 50 % der Lkw leer auf den Straßen fahren, dann sollten wir zukünftig steigende Transportvolumina nicht durch mehr Beton und einen Ausbau des Straßennetzes bewältigen, sondern durch Zusammenarbeit und bessere Ausnutzung unseres Equipments. Mars zum Beispiel hat verhältnismäßig schwere Produkte, was bedeutet: Die Lkw sind – wie wir sagen – gewichtsvoll. Wenn wir das mit anderen leichten Waren anderer Hersteller verbinden, können die Lkw optimal beladen werden. So kann man 20 bis 30 % der Logistikbewegungen, Kosten und natürlich auch Emissionen sparen.
AEB: Was meinen Sie, wie sich die Bedeutung von Kollaboration in der Lieferkette in Zukunft entwickeln wird?
Heuvelmans: Ich glaube, es gibt immer mehr Klarheit und Verständnis, dass Kooperationen sich lohnen und dass es eine Notwendigkeit dafür gibt. Wir sind davon überzeugt, dass eins plus eins plus eins fünf ist – und nicht drei. Also wenn die drei großen Partner in der Supply Chain – Industrie, Logistik und Handel – zusammenarbeiten, dann können wir wirklich Wert kreieren. Dann ist die Supply Chain kein Kostenfaktor im Unternehmen, sondern ein Value Creator.