Viele Politiker und Wirtschaftsfachleute haben
vor einem Einbruch des Handels zwischen Deutschland und Großbritannien für den
Fall eines EU-Austritts gewarnt. Wovor kaum gewarnt wurde war, dass der
Einbruch schon vor dem Brexit kommen könnte. Doch genau das ist eingetreten.
Das zeigt der Import- und Export-Seismograf (ESD/ISD), den das auf
Außenwirtschaft und Logistik spezialisierte Softwarehaus AEB gemeinsam mit dem
Institut für angewandte Logistik (IAL) der Hochschule Würzburg-Schweinfurt
herausgibt.
Automobilexporte nach UK sinken um 11,4 %
Die Zahlen sind dramatisch: Im Jahr 2018 sanken
die deutschen Exporte nach Großbritannien um 11,4 % auf 16,5 Mio. t. Die
Importe sanken sogar um 15,4 % auf 14,7 Mio. t. „Ein wesentlicher Treiber der
hohen Rückgänge im Import waren Einbrüche bei Rohstoffen wie Erdöl und Erdgas“,
erläutert Prof. Dr. Christian Kille vom IAL. „Doch auch die Schlüsselindustrien mit
hoher Wertschöpfung weisen einen deutlichen Rückgang auf. Großbritannien spürt
schon jetzt die Folgen der Brexit-Entscheidung, ohne dass der Brexit umgesetzt
wurde.“ Sowohl in der Chemie- als auch in der Pharmabranche weisen die Im- und
Exporte hohe Verluste auf – ohne dass bisher die Zollschranken gefallen sind.
Auch in der bisher eng miteinander verflochtenen Fahrzeug- und
Zuliefererbranche sind in beide Richtungen Verluste im zweistelligen
Prozentbereich zu verzeichnen. Die deutschen Importe aus Großbritannien sanken
in der Automotivebranche um 12,1 % auf 430.000 t, die Exporte um 11,4 % auf
1,73 Mio. t.
Aktueller Transportboom nach UK dient dem Lageraufbau
„Unternehmen können es sich nicht leisten, auf
den Ausgang des Brexit-Pokers zu warten. Sie haben ihre Entscheidungen bereits
getroffen und gehandelt“, erklärt AEB-Zollexperte Dr. Ulrich Lison den „Brexit
vor dem Brexit“. In anderen Branchen steht der große Knall wohl noch bevor.
„Insbesondere in der preissensiblen Lebensmittelbranche werden Zölle zu
merklichen Veränderungen führen“, warnt Lison. Der derzeitige Transportboom zwischen der EU und der britischen Insel, wie ihn das Transportmarktbarometer
der Frachtenbörse Timocom meldet, dient vor allem dem Aufbau von Lagerbeständen
als Vorsichtsmaßnahme für den Fall eines harten Brexits, sind sich Kille und
Lison einig.
Großbritannien vom Wachstum in der EU abgekoppelt
Die Dramatik des Einbruchs im
Großbritannien-Handel wird erst im vollen Umfang deutlich, wenn man ihm die
Entwicklung des Handels mit allen EU-Staaten (also inklusive Großbritanniens)
gegenüberstellt. Im Jahr 2018 stiegen die deutschen Exporte in alle EU-Staaten
um 2,1 % auf 322 Mio. t. und die Importe um 3,1 % auf 349 Mio. t.
Großbritannien hat sich von dieser soliden Entwicklung erst einmal abgekoppelt.
Noch deutlicher wird dies bei einer Langfristbetrachtung der Außenhandelswerte
von 2015 bis 2018. Die deutschen Ausfuhren in die anderen EU-Staaten stiegen in
dieser Zeit um 12 % und die Einfuhren sogar um 15 %. Die Ausfuhren nach
Großbritannien sanken im gleichen Zeitraum um 8 % und die Einfuhren um 4 %.
Kalter Wind aus der Türkei und China
Doch der Brexit ist nicht die einzige Gefahr für
den Außenhandel. Dämpfend für das Wachstum des deutschen Außenhandels wirkt
sich beispielsweise die anhaltende Wirtschaftskrise in der Türkei aus. Die deutschen Exporte in die Türkei gingen
mit 13,8 % auf 4,2 Mio. t. zurück, während die Importe aufgrund der
währungsbedingten Verbilligung der türkischen Waren um 6,2 % stiegen – bei
einer Stagnation des Importwertes.
Auch aus Fernost bläst den deutschen Exporteuren ein kalter
Wind ins Gesicht. China hat nach Gewicht 7 % weniger
Waren aus Deutschland importiert, während wertmäßig die Einfuhren aus
Deutschland um 8,1 % stiegen. „Trotzdem zeigt sich hier ein möglicher Trend,
dass mehr Güter für den eigenen Markt bereits in China produziert werden“,
kommentiert Prof. Kille. Er weist auch auf einen wichtigen logistischen Aspekt
dieser Entwicklung hin. Die bereits bestehenden Imparitäten zwischen Fernost
und Westeuropa werden noch verstärkt. Für die Logistikdienstleister in Luft-
und Seefracht ist das ein zunehmendes Problem.
Klicken Sie hier, um den kompletten ESD/ISD anzusehen.