SAP-Mitbegründer und Aufsichtsratschef Prof. Hasso Plattner zeigte sich auf der internationalen SAP-Kundenkonferenz SAPPHIRE® NOW in Orlando selbstbewusst. „Unsere Kunden haben längst die Vorteile von S/4HANA® erkannt“, sagte Plattner vor mehreren 1.000 Zuschauern. Die Fragen, so der SAP-Gründer, gingen längst in die Richtung, wann das eigene Unternehmen von den Innovationen der neuen SAP®-Anwendungssuite profitieren könnte – und wie der beste Weg dahin sei. Plattner belegte das mit Zahlen. In den 12 Monaten nach dem Marktstart von SAP S/4HANA® im Februar 2015 hätten sich bereits 3.200 Kunden für die Suite entschieden. Zum Vergleich: Die Erfolgslösung SAP® R/3® hatte nach einem Jahr erst 2.700 Kunden gefunden.
Trotz der beeindruckenden Zahlen:
Die meisten CIO von Unternehmen mit ERP-Lösungen von SAP befinden sich noch in der Findungsphase. Nach der Investitionsumfrage der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG) investieren erst 5 % der 344 befragten deutschsprachigen SAP-Anwender hohe Beträge in SAP S/4HANA®, weitere 9 % investierten im mittleren Bereich – tätigten also möglicherweise vorbereitende Investitionen. Und 86 % haben überhaupt noch kein Geld für SAP S/4HANA® ausgegeben. Die Investitionsschwerpunkte der SAP-Anwender liegen stattdessen nach wie vor beim Rollout, der Konsolidierung und der Harmonisierung eingeführter SAP-Produkte.
SAP S/4HANA® ist für zwei Drittel der SAP-Verantwortlichen ein Thema
Allerdings: Für zwei Drittel der SAP-Verantwortlichen ist SAP S/4HANA® zumindest langfristig ein Thema, wie eine Studie von Pierre Audoin Consultants (PAC) ergab. Nur 2 % der insgesamt 100 befragten SAP-Verantwortlichen aus deutschen Großunternehmen stecken bereits im Projekt, 17 % wollen die Einführung in ein bis zwei Jahren in Angriff nehmen, weitere 4 % innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre und 15 % in den nächsten drei bis fünf Jahren. 29 % konnten noch keinen Zeitplan nennen, aber das Thema sei in der Diskussion.
Es sind also noch viele Fragen offen – und entgegen Plattners Statement spielt die Frage nach den konkreten Nutzenpotenzialen in vielen Unternehmen durchaus eine Rolle. Als sicher kann gelten, dass das moderne SAP S/4HANA® gegenüber den in die Jahre gekommenen Vorgängern deutliche Performancevorteile erwarten lässt. SAP hat Systemarchitektur, Programmstruktur und Datenmodell deutlich vereinfacht. Verglichen mit SAP® ERP (ECC 6.0, Enhancement Package 8) verfügt SAP S/4HANA® über 45 % weniger Codezeilen, 48 % weniger Tabellen und 46 % weniger Datenelemente. Das bedeutet weniger Wartung, kürzere Innovationszyklen und kürzere Reaktionszeiten des Systems.
In Bezug auf das Datenmodell verzichteten die SAP-Programmierer auf Aggregate, Replikationen und Indizes. Dies spart erhebliche Mengen an Speicherplatz. Ein Beispiel von SAP: Waren für SAP® ERP auf herkömmlichen relationalen Datenbanken 7,1 TB Speicherplatz notwendig, sind es bei SAP® ERP auf der Datenbank SAP HANA® nur 1,8 TB. Läuft SAP S/4HANA® auf SAP HANA® sind durch den Verzicht auf Indizes, Aggregate und Redundanzen sogar nur 0,8 TB erforderlich. Das reduziert aus Kundensicht die Gesamtkosten nicht unerheblich.
Schneller und benutzerfreundlicher
Die In-Memory-Plattform SAP HANA® ist ein wesentlicher Teil des Gesamtkonzeptes. Bei einer In-Memory-Plattform werden nicht – wie sonst bei relationalen Datenbanken üblich – Daten zur Analyse oder Verarbeitung von einer Festplatte in den Arbeitsspeicher kopiert. Stattdessen werden die Daten vollständig im Arbeitsspeicher gehalten. Das ermöglicht die Durchführung von transaktionalen und analytischen Prozessen im selben System. Folge: Die Verarbeitung großer Datenmengen geht deutlich schneller. Für Unternehmen mit komplexen Planungs- und Optimierungsaufgaben ein Riesenschritt nach vorn.
Last but not least: Die neue Benutzeroberfläche SAP Fiori® ist ein deutlicher Fortschritt in Sachen Anwenderfreundlichkeit und sorgt für eine höhere Produktivität. Sie ermöglicht mobile Anwendungen und dient Entwicklern als Basis für die Programmierung von Apps, Modifikationen und Erweiterungen.
Lohnt der Umstellungsaufwand?
Es gibt aber Kritikpunkte: Es fehle derzeit noch an Use Cases – also Anwendungen, die den Aufwand für eine Umstellung wirtschaftlich rechtfertigen, monieren die Skeptiker. Ein anderer Einwand, der gegen einen schnellen Wechsel spricht: Derzeitig verfüge SAP S/4HANA® längst nicht über die gleiche Funktionalität wie das ausgereifte ECC 6.0 – allerdings wird sich diese Lücke schnell schließen. Für die On-Premise-Version von SAP S/4HANA® hat SAP jährliche Innovationszyklen angekündigt, die Cloud-Version wird sogar einmal im Vierteljahr auf den neusten Stand gebracht.
Einigen SAP-Bestandskunden stößt sauer auf, dass SAP S/4HANA® ausschließlich unter der Datenbank SAP HANA® läuft. Bisher hatten SAP-Anwender die Wahl zwischen fünf Datenbanken verschiedener Hersteller. Unsicherheit gibt es in vielen Unternehmen bezüglich der Zukunftsfähigkeit bestehender Modifikationen und Individuallösungen. Auch über das Zusammenspiel von SAP S/4HANA® und Lösungen anderer Anbieter gibt es bisher noch wenige Informationen.
Immerhin können die IT-Verantwortlichen in den Unternehmen diese Fragen ohne allzu großen Zeitdruck klären. SAP hat erklärt, das Wartungsfenster für die Business Suite als Vorgängerlösung bis 2025 offenzuhalten. Experten raten dennoch dazu, sich zumindest frühzeitig mit SAP S/4HANA® zu beschäftigen und sich die richtige Strategie zurechtzulegen.
Keine rein technische Migration
Wer einen Wechsel zu SAP S/4HANA® anstrebt, hat die Wahl zwischen zwei Migrationsstrategien: Zu dem Greenfield-Ansatz, bei dem das komplette ERP-System mitsamt neuer Datenbank neu aufgesetzt wird, tendieren laut PAC-Studie rund 38 % der Unternehmen. Doch die klare Mehrheit der befragten SAP-Nutzer – 62 % – bevorzugen einen Brownfield-Ansatz, also die schrittweise Migration der bestehenden SAP-Systeme.
Für einen solchen Brownfield-Ansatz zeigt SAP eine Roadmap auf, deren erster Schritt für Unternehmen mit älteren ERP-Systemen eine Unicode-Conversion ist. Unicode ist ein internationaler Standard für die Sprachdarstellungen, den SAP seit etwa acht Jahren in der SAP®-Business-Suite verwendet. Dieser Schritt ist notwendig, weil Unicode Voraussetzung für die Nutzung der Datenbank SAP HANA® ist.
Nächste Schritte sind ein Upgrade auf ERP 6.0 und/oder ein Update auf das neueste Enhancement-Paket. In dieser Konstellation ist nun die Datenbankmigration auf SAP HANA® möglich. Die Konstellation „Bewährte SAP®-Software mit neuer Datenbank“ ist bereits in der Praxis erprobt. Immerhin wird sie von SAP seit 2013 als „Business Suite powered by HANA®“ vermarktet. Der letzte Schritt ist das eigentliche Einspielen von SAP S/4HANA®. IT-Experten warnen allerdings vor der Einschätzung, dass der Wechsel auf SAP S/4HANA® eine rein „technische Migration sei“. Möglicherweise müssten auch Geschäftsprozesse angepasst werden, um das Innovationspotenzial der neuen ERP-Lösung optimal nutzen zu können. Aus diesem Grund sollten auch Berater frühzeitig in die Überlegungen mit einbezogen werden. Dies gilt auch für Unternehmen, die das SAP®-System im Zusammenspiel mit Softwarelösungen anderer Anbieter nutzen.