Lange haben Unternehmen und Institutionen auf die EU-Verordnung gewartet, die den Rohstoffhandel aus Konfliktregionen eindämmen soll. Aber was die EU Mitte Juni nach langwierigen Verhandlungen zwischen Kommission, Rat und Parlament verkündete, sorgt bis heute für Zündstoff. Denn: EU-Unternehmen sollen sich für bestimmte Mineralien verantworten – Wertstoffe, die in täglichen Gebrauchsgegenständen wie Mobiltelefonen, Autos und Schmuck verarbeitet werden.
Zwar herrscht breiter Konsens, dass es notwendig ist, den Umgang mit Konfliktmineralien verbindlich zu regeln. Doch obwohl sich abschließend noch nicht bewerten lässt, wer nun was in Zukunft in welcher Tiefe zu befolgen hat, gibt es an der jetzt getroffenen Vereinbarung heftige Kritik. So gehen die Regeln zur Kontrolle der Lieferkette für europäische Hilfsorganisationen nicht weit genug. Wirtschaftsorganisationen wiederum warnen vor hohem Bürokratieaufwand für eingebundene Unternehmen. Die finale Verordnung mit entscheidenden Details steht voraussichtlich erst in der späten zweiten Jahreshälfte im Plenum des EU-Parlaments zur Verabschiedung an.
Konfliktmineralien: Was ist bisher vereinbart?
Die EU will verhindern, dass durch den internationalen Handel mit den vier Mineralien Zinn, Tantal, Wolfram und Gold weiterhin „Warlords, Straftäter und Verbrecher gegen die Menschenrechte finanziert werden“, erklärte Lilianne Ploumen, Ministerin für Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit der Niederlande, im Namen des Rates der EU. Ziel ist es, dass EU-Unternehmen diese Mineralien auf verantwortungsvolle Weise beschaffen. Der von Kommission, Rat und Parlament vereinbarte Rahmen umfasst dazu bisher unter anderem folgende Regelungen:
- Verbindliche Sorgfalts- und Offenlegungspflichten für Unternehmen von der Mine bis zur Schmelze für die von der Gesetzgebung erfassten vier Mineralien sowie für Importeure von Metallen, die diese Mineralien enthalten. Diese Unternehmen müssen Risiken in ihren Lieferketten identifizieren, offenlegen und ihnen entgegenwirken.
- Verpflichtung, die von der OECD ausgearbeiteten Leitlinien für verantwortliche Lieferketten voll und ganz in der zukünftigen Gesetzgebung zu reflektieren.
- Hohe Anforderungen an Industrieprogramme mit ähnlichen oder gleichen Zielen wie die Gesetzgebung, um von der EU anerkannt zu werden.
Der vereinbarte Rahmen enthält also Verpflichtungen für den entscheidenden „vorgelagerten“ Teil der Lieferkette von Konfliktmineralien – wie Hütten, Schmelzen, Raffinerien. Diese müssen Rohstoffe auf verantwortungsvolle Weise beschaffen. Auch zahlreiche Importeure der Mineralien und von Metallen, die diese enthalten, sind von den Regelungen betroffen. Denn die meisten in die EU eingeführten Metalle werden unter diese Verordnung fallen. Allerdings soll es Ausnahmen für Kleinimporteure geben.
Darüber hinaus wird die Kommission eine Reihe weiterer Maßnahmen treffen, um die Sorgfaltspflicht von in der Lieferkette „nachgelagerten“ EU-Unternehmen zu stärken. Dazu zählt beispielsweise die Entwicklung von Berichterstattungsinstrumenten. Betroffen davon wären Unternehmen, die die entsprechenden Metalle und Mineralien bei der Herstellung ihrer Waren verwenden.
Kritik von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen
Die Ausprägung des neuen Rahmens und damit die Einbindung von Unternehmen werden kontrovers diskutiert. 130 europäische Organisationen, darunter mehrere aus Deutschland, hatten sich noch drei Tage vor der Verkündung in einem offenen Brief an die niederländische Ratspräsidentschaft und die EU-Mitgliedstaaten gewandt. Sie sprachen sich dafür aus, vor allem die rohstoffverarbeitende Industrie stärker in die Verantwortung zu nehmen.
Misereor kritisiert stellvertretend für einen Großteil der NGOs (Nichtregierungsorganisationen), dass die neue EU-Verordnung lediglich Unternehmen erfasse, die Metalle importieren, abbauen oder schmelzen. Für nachgelagerte Wirtschaftszweige wie die Automobil- und Elektroindustrie seien keine echten Prüfpflichten vorgesehen. „Nur ein Bruchteil der Unternehmen, die in der EU Konfliktmineralien nutzen und verarbeiten, muss nun wirklich
prüfen, inwieweit sie zur Finanzierung von Konflikten und massiven Menschenrechtsverletzungen beitragen“, sagt Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel.
Auch die Beschränkung auf vier Mineralien sei problematisch. „Ohne präzise Vorgaben fürchten wir, dass die Prüfungen zu oberflächlich bleiben. Zudem kann es nicht sein, dass die Unternehmen nur über ihre Methoden berichten müssen und nicht über die Probleme, die sie identifiziert haben“, betont Klaus Milke, Vorsitzender von Germanwatch. „Die Organisationen hoffen zudem darauf, dass die Beschränkung der Sorgfaltspflichten auf bestimmte Länder in der endgültigen Verordnung unterbleibt“, ergänzt Michael Reckordt, Koordinator des Arbeitskreises Rohstoffe, einem Netzwerk deutscher Nichtregierungsorganisationen.
Thomas Kremer, Geschäftsführer der Christlichen Initiative Romero, verweist auf die Gefahr, dass die Unternehmen gelistete Länder boykottierten, anstatt sich um eine Verbesserung der Menschenrechtssituation zu bemühen. Auch aus Österreich kommt Kritik: Das Wiener Hilfswerk Dreikönigsaktion hält den „monatelang verhandelten Kompromiss für viel zu schwach, um bewaffneten Gruppen den Geldhahn abzudrehen“. Weder sei für Menschen in Konfliktregionen eine Verbesserung erzielt worden, noch hätten Unternehmen und Endverbraucher in Europa Gewissheit, dass ihre Produkte konfliktfrei sind, sagt Herbert Wasserbauer, Rohstoff- Experte des katholischen Hilfswerks.
Der Verband des Maschinen- und Anlagenbaus (VDMA) geht davon aus, dass es für seine Branche zu keinen verpflichtenden Herkunftsnachweisen bei der Verwendung von Wolfram, Tantal, Zinn und Gold kommen werde – wohl aber standardisierte Instrumente für eine freiwillige Dokumentation. Das sei die richtige Entscheidung. „Es ergibt Sinn, nur die Importeure und Schmelzer in die Pflicht zu nehmen und nicht nachgelagerte Unternehmen, die die Herkunft ihrer Rohstoffe gar nicht mehr nachvollziehen können“, sagt Holger Kunze, Leiter des VDMA European Office. Weitere Maßnahmen halte der Maschinenbau für überflüssig, weil auch eine freiwillige Dokumentation bei weiterverarbeitenden Firmen am Ende zu unnötiger Bürokratie für den Mittelstand führe.
Blick nach Übersee
In den USA regelt seit 2010 der Dodd Frank Act den Umgang mit Konfliktmineralien entlang der gesamten Lieferkette. Abschnitt 1504 sieht vor, dass an US-Börsen gehandelte Unternehmen in ihren Jahresberichten gegenüber der U.S. Securities and Exchange Commission (SEC) Zahlungen an ausländische Regierungen im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Nutzung von Öl, Gas und Mineralien offenlegen müssen. Im Technical Audit ist aufzuzeigen, ob in ihren Produkten Konfliktrohstoffe eingesetzt werden und ob diese aus dem Kongo oder Nachbarländern stammen. Trifft das zu, ist ein unabhängig auditierter „Conflict Minerals Report“ zu veröffentlichen. Der Bericht umfasst:
- die Beschreibung der Maßnahmen zur Sorgfaltspflicht in der Lieferkette,
- die Beschreibung der Produkte, die „nicht DRC-konfliktfrei“ sind,
- die Beschreibung des industriellen Verarbeiters (Hütte/ Schmelze),
- die Angabe des Herkunftslands,
- die Beschreibung der Maßnahmen zur Bestimmung der Herkunft/Lokalität,
- der Konfliktrohstoffe mit größtmöglicher Genauigkeit.
Aus diesen Verpflichtungen erwachsen Unternehmen teilweise Kosten im unteren bis mittleren 6-stelligen Dollarbereich, zumindest im Jahr der Einführung (Aufwendungen für Personal, IT-Infrastruktur, Umgang mit Lieferanten etc.). Derweil lässt der im Juni vorgelegte EU-Entwurf entscheidende Fragen bisher offen – und bietet damit Raum für Spekulation auf Kritikerseite. Die Experten in Brüssel müssen inhaltlich nachlegen: Wer hat künftig verbindliche Auskunftspflichten und wer wird sich auf den Passus der „Freiwilligkeit“ berufen können? Insbesondere die Begriffe „nachgelagerte Unternehmen in der Lieferkette“ und „Konfliktregion“ gilt es zu definieren. Für welche Herkunftsländer sind Nachweise zu erbringen und wer ist bis zu welcher Importmenge von der Berichterstattung befreit?
Auf die Details kommt es an
Interessant ist auch die Frage, welche Berichterstattungsinstrumente benannt werden. Erst nach Festlegung dieser wesentlichen Details lässt sich seriös eruieren, welcher administrative und finanzielle Aufwand für Unternehmen entsteht. Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses des EU-Parlaments und SPD-Abgeordneter aus Niedersachsen, beschreibt den aktuellen Status so: „Wie in allen Verhandlungen gilt: Nichts ist beschlossen, bevor nicht alles beschlossen ist.“