Havarie und nun? So treffen Sie Vorsorge
Analyse

Havarie und nun? So treffen Sie Vorsorge

Die Folgen einer Havarie sollte man nicht unterschätzen – insbesondere wenn große Containerschiffe betroffen sind. Eine Analyse am Beispiel der Ever Given im Suezkanal – mit Praxistipps.

Über 90.000 Seeschiffe transportieren insgesamt 90 % des weltweiten Warenverkehrs. Und dabei sind Fischereiflotten noch gar nicht in dieser Zahl enthalten. Doch wenn eines der großen Containerschiffe havariert – welche Folgen hat das für die beteiligten Kaufleute? 

AEB hat die Experten Martin Schnoor und Philipp Dargen von der Assekuranz-Union Versicherungs-Agentur in Bremen kontaktiert. Auch Kapitän auf großer Fahrt Claas Braitsch von Maritime Service und Transport in Leer hatte im Gespräch einige Tipps parat.

Der Fall Ever Given

Havarien können für Unternehmen existenzbedrohend sein. Das zeigt sich aktuell an den Reaktionen auf das Suezkanal-Unglück der Ever Given. Wie hat die Weltwirtschaft reagiert, als eine ihrer wichtigen Schlagadern plötzlich verstopft war? 

Bei Einzelhändlern waren die Folgen direkt sichtbar, als einzelne Produkte im Angebot fehlten. Und im produzierenden Gewerbe musste oftmals auf teure Ersatzprodukte ausgewichen werden bzw. teilweise standen auch die Bänder still.

Großhandelsunternehmen, die ihre Waren auf der Ever Given transportiert haben, müssen zu allem Überfluss jetzt noch mit einer "Großen Haverei" kämpfen. Diese ist auch bekannt unter General Average (engl.) oder Havarie Grosse (frz.). Was verbirgt sich dahinter?

Seit der Lex Rhodia de iactu, Gesetz von Rhodos über den Seewurf aus dem 3. Jahrhundert v. Chr., kennt die Rechtsauslegung eine Gefahren- und Schadensgemeinschaft auf See. Liegt sie vor, müssen alle Kaufleute, die mit einem betroffenen Schiff transportierten, gemeinsam für den Schaden aufkommen – gleichgültig, welche Ladung im Einzelnen beschädigt wurde.

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Möglichkeiten der Schadensbegrenzung

Wichtig ist, dass Sie bei all den Risiken, die auf einer Seefahrt drohen, immer mehrere Möglichkeiten zur Schadensbegrenzung im Auge behalten. Tipps von Fachkollegen zu den folgenden Themen zeigen mögliche Maßnahmen auf, um im Vorfeld zu justieren und ggf. auftretende Schäden zu minimieren:.

  • Richtig und sicher seetauglich verpacken
  • Auswahl eines Fachspediteurs
  • Wahl einer passenden Lieferbedingung
  • Und last but not least: die richtige Versicherung

Tipp 1: Risiken durch passende Versicherungen minimieren

Risiken im Seetransport werden von vielen Händlern unterschätzt und folglich werden Frachten nicht versichert, um Kosten einzusparen. Die Kosten für Versicherungen werden häufig nicht in Relation zum Risiko gesehen. Aus diesem Grund verzichten manche Unternehmen ganz auf Versicherungen. 

Richtig ist, dass angesichts der immensen Mengen, die heute transportiert werden, selten Schäden entstehen. Doch die Schadenssummen im Einzelfall können dafür existenzbedrohend sein.

Tipp 2: Gefahrengemeinschaft richtig einschätzen

Ein weiteres Kostenrisiko, das oft nicht bedacht wird: Die Havarie Grosse. Sie rührt von der Gefahrengemeinschaft her, die auf hoher See angenommen wird und das Risiko des Einzelnen verringern soll.

Die Gefahrengemeinschaft bei Seesturm rechtfertigt nach der bereits erwähnten Lex Rhodia de iactu den Zugriff auf fremdes Eigentum. Gleichzeitig verlangt sie aber auch den gegenseitigen Schadensausgleich. Alle beteiligten Kaufleute haften in dieser Gefahren- und Schadensgemeinschaft gemeinsam. Ob diese Jahrtausende alte Regelung heute noch gelten sollte und ob diese im Zeitalter der Versicherungen überholt ist, wird diskutiert. Hier soll es aber um die Folgen gehen, die heute den Wareneigentümern drohen. Eine Übersicht über die Regelungen im Einzelnen finden Sie auf der Seite der Versicherungswirtschaft.

Wesentlicher Inhalt bis heute bleibt: Die beteiligten Kaufleute einer Seereise sollen Verlustrisiken gemeinsam tragen. Das bedeutet aber, dass im Falle einer Havarie Grosse auch die Kaufleute zur Kasse gebeten werden, die an ihrer Ware gar keinen Schaden erlitten haben. Dadurch soll im Gegenzug der Schaden derer verringert werden, die einen Verlust hatten. Dieser soll dann im Verhältnis zur Gesamtschadenssumme ausgeglichen werden.

Dabei sind auch Schäden versichert, die vorsätzlich durch den Kapitän veranlasst wurden. Beispiele hierfür: Das Auf-Grund-setzen oder das Überbord-Werfen von Ladung, um ein Kentern zu verhindern. Dies sei auch der einzige Fall der Versicherungswirtschaft, bei dem vorsätzliches Verhalten eines Beteiligten versichert sei, erklärt Martin Schnoor.

Tipp 3: Lieferbedingungen prüfen

Lieferbedingung und Versicherung hängen zusammen: Bei FCA und FOB Versendeland und ebenso bei den Klauseln CFR und CPT Bestimmungsland ist der Käufer der Risikoträger. Deshalb sollte er unbedingt die Fracht versichern. Im Falle von DAP und DPU ist der Verkäufer der Träger des Frachtrisikos und sollte über eine Frachtversicherung verfügen.

Die Klauseln CIF und CIP Bestimmungsland wiederum zwingen den Verkäufer, zugunsten des Käufers eine Versicherung einzudecken. Und hier wird es jetzt interessant.

  • Bei CIP ist die Sachlage noch klar: Der Verkäufer muss eine All-Risiken-Versicherung ohne Selbstbehalt über 110% des Rechnungswerts zugunsten des Käufers abschließen. Das bedeutet, dass die Versicherung grundsätzlich alle Schäden absichert – bis auf folgende Ausschlüsse: (Bürger-)Krieg, Streik, Radioaktivität, oder Beschlagnahme. Diese Schäden können aber zusätzlich auch miteingeschlossen werden.
  • CIF verlangt – sofern keine besseren Konditionen vereinbart wurden – lediglich die schlechteste, standardmäßig zur Verfügung stehende Deckung: die Deckung C der Londoner Versicherungsbedingungen oder Eingeschränkte Deckung nach DTV (Deutsche Transportversicherungsbedingungen). Beachten Sie daher, dass bei Diebstahl und Abhandenkommen oder eindringendem Seewasser durch die Versicherung kein Ersatz geleistet wird. Bei solchen Schäden ist es, als wäre die Ware unversichert, so Philipp Dargen, Underwriter von der Assekuranz-Union.

Dass Ware auf unerklärliche Weise nicht mehr aufgefunden werden kann, ist doch recht häufig. So berichtet Martin Schnoor beispielsweise von „Planenschlitzern“, die oftmals systematisch Lkw öffnen und gegebenenfalls ausrauben. 

Kapitän Claas Braitsch weist darauf hin, dass auf eine Versicherung verzichtet werden kann. Dies ist der Fall, wenn der Wert der Ware niedriger ist als die Haftung der Frachtführer. Im Straßenverkehr liegt diese beispielsweise bei ca. 10 bis 11 Euro je Kilogramm (8,33 SDR = Sonderziehungsrechte je Kilogramm), im Seeverkehr nur bei 2 SDR / kg, also je nach Wechselkurs bei gut 2,40 Euro je kg oder 666,67 SDR / Packstück. Für Weizensaat mag das ausreichen, eine Ladung Mobiltelefone wäre hier jedoch unterversichert. Zudem gehören Schäden aufgrund Havarie Grosse nicht zum Haftungsumfang der Frachtführer.

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Havarien im globalen Gedächtnis

So mancher erinnert sich an den Sturm, der im Januar 2019 vor Ameland 342 Container über Bord der MSC Zoe spülte. Auch die OOCL Rauma verlor im Folgejahr einige Container in der Nordsee. Andere Havarien vor Neuseeland und Mauritius sind ebenfalls noch vor unseren Augen.

Beeindruckende Fakten, die aber relativiert werden, wenn man folgendes bedenkt: Nach einem Höchststand 2007 mit 171 Schiffsverlusten, sanken im Jahr 2019 weltweit nur noch 41 Schiffe.

Fazit

In Anbetracht der Tatsache, dass im Rahmen von laufenden Versicherungen die Kosten für eine Absicherung schon deutlich unter 0,5 ‰ beginnen, sollten Unternehmen eine Versicherung berücksichtigen. Einzelversicherungen sind (je nach Destination und Ware) hier zwar deutlich höher, aber immer noch im meist tragbaren Bereich. Für einen Transport von Ware im Wert von 100.000 Euro ist also mit einer Prämie im Rahmen von unter 50 bis ca. 200 Euro zu rechnen. 

Diese Beträge können allerdings deutlich schwanken und hier nur einen groben Anhaltspunkt bieten. Auch Selbstbehalte senken diese Kosten noch einmal. So können sie dazu führen, dass zumindest existenzielle Risiken abgesichert sind.

Unternehmen sollten daher bereits vor Vertragsabschluss die Risiken kalkulieren. Zudem sollten sie durch Wahl des Incoterms sicherstellen, wer im Schadensfall haftet. Die passenden Versicherungsmodalitäten sorgen dafür, dass sie ihre Existenzgrundlage nicht unnötig aufs Spiel setzen.