Internationale Präsenz gehört heute für viele Unternehmen zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren. Industrieunternehmen nutzen Lage- und Wettbewerbsvorteile einzelner Standorte zum Aufbau optimierter Produktions- und Liefernetzwerke. Besonders erfolgreich sind solche Netzwerke dann, wenn das Zusammenspiel zwischen den einzelnen Standorten durch eine leistungsfähige IT unterstützt wird.
In vielen Bereichen funktioniert das bereits hervorragend – doch sobald Waren über die EU-Außengrenzen im- oder exportiert werden steigt die Komplexität. Das klingt überraschend – schließlich ist die EU eine Zollunion mit dem Unionszollkodex (UZK) als gemeinsames Regelwerk. „Jedes Land hat in Sachen Zoll seine nationale Eigenheiten und voneinander abweichende Verfahren“, erläutert Richard Groenendijk, Geschäftsführer von AEB Nederland. Und jede nationale Zollbehörde hat sich auf unterschiedliche IT-Verfahren festgelegt. Deutschland nutzt beispielsweise ATLAS, Großbritannien NES und die Niederlande DMS, NCTS und Portbase.
Diesen dezentralen Strukturen begegnen zahlreiche Unternehmen mit dezentralen Lösungen. An jedem im- oder exportierenden Standort gibt es eine eigene Zollabteilung, die sich mit den lokalen Besonderheiten auskennt – und ein eigenständiges lokales Zollsystem nutzt. Alternativ dazu vergeben Unternehmen die Zollabwicklung an einigen Standorten an Zollagenten oder Speditionen, um den Aufbau eigener Strukturen zu vermeiden.
Ein Nebeneinander vieler Lösungen erhöht die Komplexität
Groenendijk erinnert sich mit gemischten Gefühlen an seine Zeit als Zollmanager bei einem internationalen Logistikdienstleister, als er es mit 13 unterschiedlichen Systemen zu tun hatte: „Das war, ehrlich gesagt, ein Albtraum. Ich hätte einiges für eine zentrale Plattform gegeben.“ So ähnlich denken viele Zoll- und IT-Verantwortliche. Aus IT-Sicht sind Implementierung, Betrieb und Support für nationale Einzellösungen im Außenwirtschaftsumfeld erhebliche Belastungen. Aus Sicht von Zollleitern und Verantwortlichen für die Exportkontrolle geht die Transparenz verloren.
Eine unternehmensweit einheitliche Tarifierung und Klassifizierung ist unter diesen Voraussetzungen ebenso schwierig wie eine zentrale Archivierung relevanter Unterlagen“, bestätigt Dr. Ulrich Lison, Außenwirtschaftsexperte und Mitglied der Geschäftsleitung von AEB.
Neuerungen durch den UZK
Kein Wunder, dass viele Unternehmen und Wirtschaftsverbände in den EU-Staaten eine bessere Lösung fordern. Dem ist der europäische Gesetzgeber auch nachgekommen – seit dem Inkrafttreten des UZK am 1. Mai 2016 gibt es laut Artikel 179 UZK unter bestimmten Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf eine zentralisierte Zollabwicklung für die Zollverfahren Überlassung zum freien Verkehr, Zolllager, vorübergehende Verwendung, Endverwendung, aktive und passive Veredelung, Ausfuhr und Wiederausfuhr. Wörtlich heißt es in Artikel 179: „Die Zollbehörden können einer Person auf Antrag bewilligen, bei der Zollstelle, die für den Ort zuständig ist, an dem die Person ansässig ist, eine Zollanmeldung für Waren abzugeben, die bei einer anderen Zollstelle gestellt werden.“
Für diese weitreichende Bewilligung ist der Status eines zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten (AEO-C) Voraussetzung. Inhaber einer entsprechenden Bewilligung können eine Zoll- oder Ausfuhranmeldung mit ihrem Zollsystem beim Zollamt, das für ihren Firmensitz zuständig ist abgeben – selbst wenn die Ware im Zuständigkeitsbereich einer anderen Zollbehörde im EU-Ausland gestellt wird.
Ein Beispiel: Ein Importeur aus Essen gibt seine Zollanmeldung beim Zollamt Essen ab. Verfügt er über die Bewilligung, kann er die einzuführende Ware beim Zoll in Rotterdam gestellen. Der Zoll in Essen kümmert sich um die Überprüfung der Anmeldung und der notwendigen Unterlagen – und fordert nötigenfalls ergänzende Unterlagen an. In begründeten Fällen beauftragen die Essener Zöllner die Kollegen in Rotterdam mit einer Beschau und der Entnahme von Mustern oder Proben. Die Zollstellen in Essen und Rotterdam tauschen die für die Überprüfung der Anmeldung und die Überlassung der Waren notwendigen Informationen aus. Die übrigen Formalitäten erledigt das Zollamt in Essen. Direkte Kommunikation des Essener Importeurs mit dem Rotterdamer Zoll ist nicht nötig.
Einzelne Unternehmen konnten schon vor Inkrafttreten des UZK so arbeiten, vorausgesetzt sie verfügten über eine Einzige Bewilligung. Für den Erhalt dieser Bewilligung gab es allerdings keinen Rechtsanspruch – alle beteiligten Zollbehörden mussten zustimmen.
(Noch) kein Grund zur Freude
„Die zentrale Zollabwicklung wird es den Wirtschaftsbeteiligten ermöglichen, Buchführung, Logistik und Vertrieb zu zentralisieren und zu integrieren, was beträchtliche Einsparungen bei den Verwaltungs- und Transaktionskosten und damit eine spürbare Vereinfachung zur Folge haben wird“, verspricht die EU-Kommission in einem Rundschreiben.
Angesichts solcher Aussagen steht interessierten Unternehmen allerdings Frust ins Haus. Denn es ist zu befürchten, dass Artikel 179 UZK in den nächsten Jahren noch nicht angewendet werden kann. Hauptgrund sind die IT-Systeme. Um im Sinne des UZK reibungslos zusammenzuarbeiten, ist ein entsprechender elektronischer Datentausch zwischen den Zollsystemen der Mitgliedstaaten erforderlich. Das entsprechende Projekt soll aber erst Ende 2020 fertiggestellt sein. Unternehmen könnten zwar unter Berufung auf den Rechtsanspruch schon vorher versuchen, eine zentrale Zollabwicklung durchzusetzen. Ob das Erfolg verspricht und betriebswirtschaftlich sinnvoll ist, bezweifeln viele Zollexperten.
Während die Zollverwaltungen bis 2020 an einer effizienten Lösung für den Datentausch arbeiten, sind parallel rechtliche und organisatorische Fragen zu klären. So müssen sich die EU-Zollverwaltungen einigen, wie bei einer zentralen Zollverwaltung, die Zolleinnahmen aufzuteilen sind. 75 % der Zölle fließen bekanntlich dem EU-Haushalt in Brüssel zu, während 25 % zur Deckung der Erhebungskosten im Land des Anmelders verbleiben. An diesen 25 % hat verständlicherweise auch der Zoll Interesse, in dessen Zuständigkeitsbereich die Ware gestellt wird. Auch bei der Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer fehlen rechtliche Vorschriften für den Fall, dass die Waren in einem anderen Mitgliedstaat in den zollrechtlich freien Verkehr gelangen, als demjenigen, in dem sie angemeldet worden sind.
Wer zur Straffung seines Zollmanagements also auf den Artikel 179 UZK setzt, braucht einen langen Atem. „Moderne Zollverfahren, wie zentrale Zollabwicklung und Eigenkontrolle sind nicht absehbar“, resümierte gar die IHK Stuttgart.
International effizient durch einheitliche Zoll-IT-Lösung
Es gibt allerdings auch intelligente Möglichkeiten zur Optimierung der internationalen Zollabwicklung, die allein im Ermessen der Unternehmen liegen. Dabei spielt die Vereinheitlichung der IT-Lösungen eine zentrale Rolle: Anstatt mehrere lokale Systeme zu betrieben, wird eine einheitliche internationale Zollplattform zur Zollabwicklung an mehreren Standorten in unterschiedlichen Ländern aufgebaut. Allerdings muss eine solche Plattform die rechtlichen Voraussetzungen für die angeschlossenen Länder erfüllen sowie von den jeweiligen Zollbehörden zertifiziert beziehungsweise getestet und freigegeben sein. Das gilt natürlich auch für die Schnittstellen zu den elektronischen Systemen der Zollverwaltung.
Wie solch eine Plattform arbeitet, zeigt ASSIST4 Customs Integration von AEB, mit der sich Ein- und Ausfuhrverfahren, aber auch besondere Verfahren wie NCTS und Hafenmeldungen in mehreren Ländern abwickeln lassen. Im ersten Schritt übernimmt die Lösung Informationen aus den Vorsystemen, die zu einer Zollanmeldung für den gewünschten Zollprozess erforderlich sind. Customs Integration verfügt über Datenkollektoren, die relevante Daten aus dem ERP sammeln – auch speziell für SAP®ERP-Systeme. Allerdings liefern die Vorsysteme nicht alle notwendigen Daten. Intelligente Logiken, die auf die einzelnen Prozesse und Länder abgestimmt sind, reichern deshalb weitere Informationen automatisiert an. Ist die Zollanmeldung vollständig, übernimmt die Lösung die Kommunikation mit den nationalen Zollbehörden als Empfänger der Zollanmeldung und sorgt für eine direkte Datenübertragung – nachdem die Zollanmeldung vorher automatisiert auf Vollständigkeit und Plausibilität geprüft worden ist.
Solche integrierten Plattformen bieten sowohl Zoll- als auch IT-Verantwortlichen eine Reihe von Vorteilen: Die Deklarationen werden zentral an einer Stelle archiviert, was die Transparenz und Nachvollziehbarkeit verbessert – beispielsweise im Fall von Zollprüfungen. Die zentrale Datenhaltung ermöglicht zudem Analysen über Ländergrenzen hinweg. IT-seitig sind Implementierung, Wartung, Updates und Support deutlich schlanker als bei einzelnen Lösungen für jedes Land. Last but not least: Gemeinsame Datenhaltung und einheitliche Benutzeroberfläche ermöglichen gegenseitige Unterstützung der nationalen Zollabteilungen.
AEB-Experte Lison sieht darüber hinaus noch einen strategischen Vorteil: Bisher wird die Zollabwicklung an kleineren Standorten oft an Dienstleister übertragen, die sich den Service gut bezahlen lassen. Dank moderner Plattformlösungen wird die eigene Zollabwicklung wieder attraktiver. „Ich sehe da durchaus einen Trend zum Insourcing“, betont Lison.